Geschichte: Mit der Familie das Valle di Lodano entdecken

Im Internet des Waldes

Wenn der Wald zur Ressource wird: 240 Pflanzenarten und 180 Pilzarten.
Im Lodanotal, einem Ableger des Maggiatals, sind die Entdeckungen unerschöpflich.

Wer sich mit Wanderleiter Luca Goldhorn auf die Suche nach seltenen Vögeln, funkelnden Käfern und wildwachsenden Speisen macht, erlebt den Wald in einer ganz neuen Intensität. Das Valle di Lodano mit seiner Geschichte und geschützten Natur wird zum Erlebnis für die ganze Familie.

DAS IST

Luca Goldhorn, Wanderleiter

Luca Goldhorn,  Wanderleiter
Ich hoffe immer darauf, den seltenen Alpenbock zu sehen, ein wunderschöner, blau schimmernder Käfer.

Die Aufforderung kommt überraschend: «Jetzt die Hände auf den Ameisenhaufen legen!» Stille. Wanderleiter Luca Goldhorn weiss das Zögern seiner Begleiter durchaus richtig zu interpretieren. «Wer nicht möchte, kann auch ein Taschentuch drauflegen. Anschliessend an die Nase halten und tief durchatmen. Ein Asthmaanfall oder eine verstopfte Nase verschwinden!» Ameisensäure als natürliches Heilmittel. Eines wird schon nach den ersten Minuten im Valle di Lodano deutlich: Langeweile kommt bei diesem Waldspaziergang nicht auf! Schon gar nicht bei Kindern.


Valle di Lodano. Ein wildes Tal von atemberaubender Schönheit, das vom Maggiatal abzweigt und vielen Menschen gar nicht bekannt ist. Dabei steckt es voller Geschichte, Überraschungen und geheimnisvoller Wesen, die nur zu sehen bekommt, wer zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort ist. Doch nicht einmal der Experte weiss, wo und wann das ist. 

DIE VOLLSTÄNDIGE GESCHICHTE


Valle di Lodano

«Wenn ich Kindern sage, dass sie sich im Kastanienhain auf die Suche nach dem Halsbandschnäpper machen sollen, dann sind sie schneller oben, als man schauen kann.» Luca Goldhorn, Jahrgang 1960, Wanderführer und Experte für das Valle di Lodano, spricht vom seltensten Brutvogel der Schweiz. Um ihn in seinem Lebensraum zu entdecken – und da gehört das Waldreservat oberhalb von Lodano dazu – muss man den Ruf erkennen. Goldhorn spielt das Zwitschern auf seinem Smartphone vor. Bei den jüngsten Wanderern gibt es kein Halten mehr. Sie sind in den Entdeckermodus gewechselt. Denn das Naturschutzgebiet, dessen Buchenbestand zu UNESCO-Welterbe erklärt wurde, hält noch mehr Überraschungen bereit.

Sechs Kilometer Luftlinie wurde mit den Seilbahnen überbrückt. Die Stämme wurden mehrmals umgehängt.
Valle di Lodano

Seit 2010 steht das 780 Hektar grosse Waldreservat unter Schutz. Die Natur kann sich hier frei ohne Eingriffe des Menschen entwickeln. Ein Netz aus fest definierten Wanderwegen gibt Besuchern die Möglichkeit, die Region zu erkunden, mental von der Energie des Waldes zu profitieren und aus der Geschichte zu lernen. Denn Naturschutz ist keine Selbstverständlichkeit. «Bis in die 1960er Jahren wurde der Wald rigoros abgeholzt», sagt Luca Goldhorn.

«Das Holz war wichtige Ressource.» Doch wofür? Brennholz? Bau? «Ja, aber nicht nur. Aus Kastanienrinde wurde auch Gerbstoff für die Lederindustrie gewonnen. Die Nachfrage war riesig.» Grosse Mengen geschlagenes Holz mussten über unwegsames Hanggebiet hinweg ins Maggiatal transportiert werden. 

Valle di Lodano
Valle di Lodano

Wie das technisch möglich war verrät der Landschaftspfad, der durch die Talsohle von Lodano führt und bequem zu laufen ist: Am Wegesrand stehen die Überreste einfacher Transportseilbahnen.

Lodano, Vallemaggia
Pro tip
Es gibt noch weitere 4 Rundwege. Auch anspruchsvollere Touren, mit Übernachtung auf der Alpe Canaa und Überqueren der Alpen di Pii, Canaa und Tramón.
Der Ausflug ins Valle di Lodano beginnt im Infopoint. Schautafeln informieren über Natur und Geschichte des Tals, erläutern die frühere wirtschaftliche Nutzung sowie die heutigen Schutzprojekte rund um Reservat und Kulturlandschaft.
240 Pflanzenarten und 180 Pilzarten gibt es im Valle di Lodano. 45 Vogelarten, darunter Halsbandschnäpper, Raufusskauz und Haselhuhn und 22 Säugetiere, von Steinbock über Murmeltier bis zur Schneemaus.

Auch Holzkohle war ein wichtiges Exportprodukt des Tals. Bis heute sind eine Vielzahl von alten Köhlerstätten im Wald zu entdecken, auch am Sentiero paesaggistico, wo zu didaktischen Zwecken ein so genannter Kohlenmeiler errichtet wurde. So lässt sich am besten verstehen, wie früher durch langsames Abbrennen dieser Haufen aus Holzscheiten, Laub und Erde Kohle produziert wurde.

Valle di Lodano
Valle di Lodano

Doch die Zeiten industrieller Nutzung des Waldgebiets sind vorbei. Die Natur spielt wieder die Hauptrolle – und zieht alle in ihren Bann. Vor allem, wenn die Perspektive auf das üppig wachsende Grün entlang des Weges wechselt.

Valle di Lodano
Valle di Lodano

«Allein von Farn gibt es 15 bis 20 verschiedene Arten – von einigen lassen sich die Blätter wie Spinat zubereiten», erläutert der Wanderführer. «Es dürfen aber nur junge Pflanzen im Frühjahr verwendet werden, die oben noch gekringelt sind.» Wegen des Giftes im Farn sollte jedoch nur ernten, wer sich auskennt. Goldhorn hat ursprünglich Koch gelernt, bevor er im Jahr 2007 eine Zusatzausbildung als Wanderleiter machte. Auf Touren hoch zur Alpe Canaa sammelt er ein, was der Wald zu bieten hat. Und bereitet in der Berghütte den Teilnehmern ein köstliches Mahl zu.

Die Kinder interessieren sich mehr für süsse Beeren. Goldhorn zeigt ihnen, wie sie Walderdbeeren erkennen. «Die Blüte ist weiss, die Frucht schaut zum Boden.» Andernfalls handelt es sich um die wenig schmackhafte Scheinerdbeere.

Valle di Lodano
Valle di Lodano

Als ein Teilnehmer von einer Bremse gestochen wird, gibt es noch einen Tipp aus der Waldapotheke: «Johanniskraut hilft genauso gut wie chemische Produkte.» Die gelben Blüten wachsen überall.

Valle di Lodano
Valle di Lodano

Goldhorn ist überzeugt, dass alle Pflanzen miteinander kommunizieren. Über das Internet des Waldes: den Waldboden mit seinem komplexen Netz aus Wurzeln. So wüsste die kleine Buche, dass sie wachsen muss, wenn die benachbarte grosse Buche plötzlich abstirbt. Und wie sonst sprechen sich die Buchen ab, wenn sie plötzlich alle gleichzeitig, in den unregelmässig auftretenden Mastjahren, besonders viele Bucheckern tragen – über alle Landesgrenzen hinaus. Aber auch der Experte hat noch längst nicht alles gesehen: «Ich suche schon mein Leben lang nach der Rosalia alpina, dem Alpenbock, ein wunderschöner, blau schimmernder Käfer. Er existiert im Valle di Lodano.» Dass die Insektenart vom Aussterben bedroht sei, liege unter anderem daran, dass sie zur Fortpflanzung alte, modernde Baumstämme benötigt. «Ein gesunder Wald besteht zu 30 Prozent aus totem Holz.» Daher sei es so wichtig, dass der Mensch hier nicht aufräumt.

«Jeder Meter im Wald bringt etwas Neues.»

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